Das Team lebt - Teamcoaching revisited

Führt Industrie 4.0 immer zu Arbeit 4.0? Erfordert das dann Coaching 4.0? Brauchen alle „Agiles Arbeiten“ oder „New Work“? Aus dem Blick geraten bei solchen eher wolkigen Fragen oft geerdete Ansätze, die sich immer noch als sehr zeitgemäß erweisen. Sehen wir uns dafür einmal die Bedeutung von Teamarbeit, insbesondere das bewährte Konzept der Teamentwicklungsphasen nach Tuckman (Forming, Storming, Norming, Performing) an. 

In der Arbeits- und Wirtschaftswelt gibt es fast nichts, was nicht in Bewegung ist. Feste Arbeitszeiten, dauerhafte Anstellungsverhältnisse, die Form der sozialen Sicherungssysteme, der Wert und die Beständigkeit von Ausbildungen – alles ist im Wandel. Die Einflüsse, denen Unternehmen und Organisationen ausgesetzt sind, ändern sich ständig und sind mit den gewohnten Strukturen und Verhaltensweisen immer weniger beherrschbar. All diese Faktoren führen, verbunden mit einer allgemein empfundenen Beschleunigung, zu Orientierungsproblemen und zur Suche nach neuen Konzepten. 

 

Wozu Teamarbeit?

 

Für Unternehmen, die dauerhaft bestehen wollen, wird die Gestaltung der Zusammenarbeit immer wichtiger. Die Qualität professioneller Interaktionen wird zum zentralen Erfolgsfaktor. Ein Projekt (z. B. ein Verkaufsabschluss) kann zunächst auf der Sachebene scheitern, wegen der guten Interaktionsqualität (z. B. klare und verbindliche Kommunikation) aber dennoch zu einem neuen Projekt oder zu einem langfristigen Kundenkontakt führen. Letztlich geht es dabei immer um das übergreifende Thema: Menschen im Umgang mit Strukturen. Menschen im Umgang miteinander und mit sich selbst.

 

Gegenwärtig wächst die Erkenntnis, dass es grundlegend neuer, evolutionärer Managementkonzepte und Organisationsformen bedarf. Einer der Vordenker des Ansatzes „Reinventing Organizations“, Frederic Laloux, beschreibt exemplarisch zwölf Organisationen aus dem gewinnorientierten wie aus dem gemeinnützigen Bereich, die er eingehend untersucht hat. Sie sind in so unterschiedlichen Branchen wie Produktion, Lebensmittelverarbeitung, Energieversorgung, Gesundheitswesen und Bildung aktiv und haben dennoch eines gemeinsam.

 

Alle diese Organisationen sind nicht nach hierarchischer Pyramidenstruktur gestaltet, sondern arbeiten nach den Prinzipien "Selbstführung, Suche nach Ganzheit und Evolutionärer Sinn". Sie sind nicht nach dem Maschinenprinzip konstruiert, sondern sie folgen den Regeln lebendiger Systeme und bewältigen so die hohe Komplexität ihres Umfelds. Als Vorbilder für diese regel-, statt hierarchiebasierte Organisationsform nennt Laloux die Funktionsweise großer Vogelschwärme, des Ökosystems Wald, des menschlichen Gehirns oder der Weltwirtschaft.

 

Arbeitsbeziehungen und Teamentwicklung

 

Teamarbeit spielt bei zunehmender Bedeutung von Kommunikation und Vernetzung eine immer größere Rolle. Das Qualifikationsmerkmal »Teamfähigkeit« findet sich in fast jeder Stellenausschreibung. Die Fähigkeit und Bereitschaft zur sinnvollen und substanziellen Interaktion muss durch Reflexion und Gestaltung der Arbeitsbeziehungen gefördert werden.

 

Teams funktionieren nicht wie Maschinen. Als lebendige soziale Systeme durchlaufen sie vielmehr Entwicklungsphasen wie Geburt, Wachstum, Pubertät und Reife, die denen des einzelnen Menschen nicht unähnlich sind. Jedes Team, jede zielgerichtete Teamarbeit entwickelt sich nach gruppendynamischen Gesetzmäßigkeiten in vier wesentlichen Phasen. Manchmal vermischen oder verschieben sich diese Phasen. Dennoch handelt es sich um interaktionelle Gegebenheiten, nach denen längerfristige Arbeitsgruppen funktionieren und von denen keine übersprungen oder ausgelassen werden kann.

 

Ein bildhaftes Prozessphasen-Modell bezeichnet diese Entwicklungsschritte wie folgt: Teamentwicklungsphasen 1. Forming/Orientierung 2. Storming/Frustration (Richtungssuche und Auseinandersetzung über Verfahrensfragen) 3. Norming/Beschlussphase (Aufgreifen von Konsenslinien) 4. Performing/Produktionsphase

 

In der Forming-Phase geht es darum, sich im neuen sozialen Umfeld zu orientieren. Die anderen Teammitglieder werden abgeschätzt. Man versucht, sich ein Bild zu machen und sich zurechtzufinden. In aller Regel ist diese Phase von sozialer Angst begleitet, auch wenn diese in den seltensten Fällen gezeigt wird. Tendenziell angstbesetzt sind beispielsweise die Fragen: »Was wird von mir erwartet?« oder »Wo ist mein Platz im Team?«. Das Bedürfnis, sich einzugliedern, steht im Vordergrund. Die Einzelnen erleben sich als autoritätsabhängig.

 

In der Storming-Phase rücken Diskrepanzen zwischen Hoffnung und Realität ins Bewusstsein. Konkurrenzen um Machtpositionen oder Aufmerksamkeit werden sichtbar. Abhängigkeiten und Gegenabhängigkeiten werden erlebt. Es kommt zu Unzufriedenheit, Verwirrungen und Auseinandersetzungen um Inhalte und Verfahrensweisen. Negative Reaktionen auf die Leitungspersonen gehören dazu. Die Besonderheit dieser Phase besteht darin, dass Gruppenproduktivität und Kompetenz steigen, dies jedoch nicht wahrgenommen wird, weil Motivation und Engagement schließlich einen Tiefpunkt erreichen. Besonders wichtig ist es, die Bedeutung von Phase 2 nicht zu unter- schätzen bzw. falsch einzuschätzen. Diese Phase ist nicht »schlecht«, sie ist quasi die Pubertätsphase des Teams. Die Stormingphase ist unabdingbarer Bestandteil von Teamarbeit.

 

Coaching Teams

 

Es gibt Teams, die die erste Phase überspringen, zum Beispiel bei einer unerfreulichen Aufgabe, bei unfreiwilliger Teilnahme oder bei unangemessenem Zeitdruck. Sie nehmen sich keine Zeit für Kennenlernen und Orientierung. Das führt in der Regel dazu, dass sie unzufrieden mit niedriger Motivation starten und nie ein hohes Performing-Level erreichen. Gleiches gilt erst recht, wenn Teams versuchen, die zweite Phase zu überspringen. Die verschobenen Konflikte gefährden später das Gesamtergebnis. Teams müssen die im Frustrationsstadium auftretenden Probleme aus- tragen.

 

Führung, Moderation oder Coaching haben die Aufgabe, die Äußerung von Unmut aufzugreifen, damit diese Gefühle angenommen und überwunden werden können (»Widerstand erfolgreich managen«). Ausgehend davon, dass diese Frustration unvermeidlicher und notwendiger Bestandteil des Prozesses ist, heißt die Coaching-Leitlinie in dieser Phase: Raum für Konflikte und Spannungen geben, Unzufriedenheit zulassen, nicht beschwichtigen, den Teilnehmern das Aushalten zumuten, das Konfliktpotenzial nicht abwürgen, sondern abmildern.

 

Wenn es gelingt, diesen Unannehmlichkeiten nicht auszuweichen, kann es in der Norming-Phase zum Zusammenfinden des Teams, zur Beschlussfassung, zur Konsensfindung, zum Aufbruch in eine mehrheitsfähige Richtung kommen. Das Team einigt sich auf gemeinsame Regeln, der Umgang miteinander wird offener, die Unzufriedenheit nimmt ab. Verantwortung und Kontrolle werden geteilt und eine gemeinsame Team-Sprache bildet sich heraus.

 

In der Performing-Phase entsteht eine stabile Arbeitsfähigkeit. Die Zusammenarbeit macht fast immer Spaß, ein Wir-Gefühl sorgt für produktive und sachdienliche Auseinandersetzungen. Führungsfunktionen wechseln sich je nach Spezialkompetenz ab, gemeinsam gelöste Aufgaben erzeugen Stolz. Insgesamt hat das Team ein hohes Leistungsniveau erreicht.

 

Nicht jedes Team kann das Beste sein, aber jedes Team kann das Beste aus seinen Möglichkeiten machen.